75 Jahre Kriegsende

In Geschichte by Christoph Barth

Oberstufenleiter Martin Flesch zum 8. Mai 2020

Oberstufenleiter und Geschichtslehrer Martin Flesch erinnert in einem Audio-Beitrag an das Ende des 2. Weltkriegs vor 75 Jahren. 
Lesen Sie den Text unten oder hören Sie hier den Beitrag:

Liebe Schülerinnen und Schüler, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der St. Matthias-Schule,

„Der 8. Mai 1945 ist ein Datum von entscheidender historischer Bedeutung in Europa.“ So beginnt der damalige Bundespräsident Richard v. Weizsäcker seine Rede vor dem Bundestag anlässlich des 40sten Jahrestages der Befreiung Europas von der nationalsozialistischen Herrschaft. 35 Jahre ist das nun wiederum her und so manch einer hat im Jahr 2020 schon gar keinen Bezug mehr zu diesem Tag. „Ist das denn überhaupt noch notwendig?“, werden sich einige fragen? Mit Jubiläen ist das ja sowieso immer so eine Sache – je weiter ein Ereignis zurückliegt, umso weiter ist es meist auch in den Köpfen der Menschen in den Hintergrund getreten – Gott sei Dank, oder? Zudem beschäftigen uns im Moment andere Dinge: Corona bestimmt unseren Alltag. Um die Krise zu meistern, wird das bisherige Leben in grundlegenden Bereichen überdacht, sogar verfassungsmäßig garantierte Grundrechte werden eingeschränkt oder ganz zum Erliegen gebracht.
Genau dieses Leben aber, das wir bis zum Beginn des Jahres so selbstverständlich hingenommen haben, all die Freiheiten und Rechte, die Sicherheiten und der Wohlstand, das alles hat seinen Ursprung an dem Tag, der sich heute zum 75. Mal jährt. „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung“, fährt von Weizsäcker fort und erläutert anschließend facettenreich seine Aussage. Die Tatsache, dass der Tag heute oftmals in Vergessenheit geraten ist, kann unterschiedlich gedeutet werden: „Es ist ein ganz normaler Prozess und ewig am Vergangenen festhalten ist ja auch keine Lösung“, sagen die einen. „Es muss doch endlich mal Schluss sein mit diesem Thema, was können wir schon dafür, was damals geschehen ist?“, sagen andere. Auf all diese Aussagen finden sich in der Rede passende, immer noch gültige Antworten, die ich aber hier nicht alle aufzählen möchte. Ein Ansatz aber lässt mich schon seit Jahren nicht mehr los – es steht mehr zwischen den Zeilen: Es ist normal, Dinge zu vergessen, um sich zu schützen. Es ist heilsam, Dinge zu vergessen, denn das macht die Gegenwart zu einem besseren Ort. Es ist notwendig, Dinge zu vergessen, um die Zukunft zu gestalten, es ist gefährlich, Dinge zu vergessen, denn dadurch können sie sich wiederholen.

Die Tatsache, dass unser Leben zur Zeit so eingeschränkt ist, erscheint mir notwendig und richtig – aber nur für einen begrenzten Zeitraum. Denn gerade die Erinnerung an diesen besonderen Tag zeigt mir, wie wichtig es ist, jederzeit für die Freiheit und alle anderen Grundrechte einzustehen. Die Grundlage unseres Verständnisses von Freiheit, Frieden und Wohlstand -kurz: des Lebens, wie wir es kennen und wie wir es schätzen sollten- wurde am 8. Mai 1945 gelegt und vier Jahre später in Artikel 1 des Grundgesetzes verankert. Indem wir dieses Tages gedenken, schauen wir nicht nur in die Vergangenheit, wir legen wesentlich die Grundlage für unsere eigene Zukunft.

Richard von Weizsäcker formuliert all dies in seiner eigenen, zeitlosen Sprache:

  • Nie gab es auf deutschem Boden einen besseren Schutz der Freiheitsrechte des Bürgers als heute.
  • Wenn wir uns daran erinnern, dass Geisteskranke im Dritten Reich getötet wurden, werden wir die Zuwendung zu psychisch kranken Bürgern als unsere eigene Aufgabe verstehen.
  • Wenn wir uns erinnern, wie rassisch, religiös und politisch Verfolgte, die vom sicheren Tod bedroht waren, oft vor geschlossenen Grenzen anderer Staaten standen, werden wir vor denen, die heute wirklich verfolgt sind und bei uns Schutz suchen, die Tür nicht verschließen.
  • Wenn wir uns der Verfolgung des freien Geistes während der Diktatur besinnen, werden wir die Freiheit jedes Gedankens und jeder Kritik schützen, so sehr sie sich auch gegen uns selbst richten mag.
  • Es gibt keine endgültig errungene moralische Vollkommenheit - für niemanden und kein Land! Wir haben als Menschen gelernt, wir bleiben als Menschen gefährdet. Aber wir haben die Kraft, Gefährdungen immer von neuem zu überwinden.
  • Lernen Sie, miteinander zu leben, nicht gegeneinander.
  • Ehren wir die Freiheit.
    Arbeiten wir für den Frieden.
    Halten wir uns an das Recht.
    Dienen wir unseren inneren Maßstäben der Gerechtigkeit.
    Schauen wir am heutigen 8. Mai, so gut wir es können, der Wahrheit ins Auge.
  Martin Flesch    Titelgrafik: Christoph Barth